Blick in mein Skizzenbuch

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – heißt es. Und so füllen inzwischen tatsächlich tausende Naturfotos meine Festplatte. Auf den allermeisten sind ganze Landschaften, einzelne Landschaftselemente oder markante Bäume zu sehen, die mir unterwegs ins Auge fallen. Tiere sind eher seltene Glücksfälle, von Kühen vielleicht einmal abgesehen.

Wenn ich Inspiration für neue Werke suche, verbringe ich regelmäßig sehr viel Zeit beim Durchsehen dieser Fotos. Leider endet die Suche aber allzu oft damit, dass ich trotz der vielen Fotos keine Vorlage für ein neues Bild finde. Die Besonderheiten, die ich einst beim Fotografieren festhalten wollte, kann ich im Nachhinein oft gar nicht mehr so recht erkennen. Gerade bei Waldmotiven frage ich mich manchmal, was ich da eigentlich im Blick hatte. Überspitzt ausgedrückt sieht man dort oft einen Baum vor einem anderen Baum vor einem weiteren Baum…

Die Erklärung liegt natürlich in der selektiven Wahrnehmung, die uns biologisch gegeben ist. Eine bewusst eingesetzte Offenblende mit begrenztem Schärfebereich einmal ausgenommen, fängt ein Kameraobjektiv dagegen alles in gleicher Wertigkeit und ohne Schwerpunkt ein.

Langsam dämmert es mir: Skizzen haben ihre Berechtigung. Jahrzehntelang habe ich mich um diese Erkenntnis gedrückt.

Schon in der Schule wusste ich jede Vorbereitungsphase auf das unabdingbare Minimum zu begrenzen. Übungen und Vorzeichnungen waren nicht mein Ding – für mich zählte immer nur das fertige Werk und keine Sekunde wollte ich vorher an Zeichnungen verschenken, die am Ende nicht Teil des hoffentlich großartigen Ergebnisses waren. Abgesehen davon steckte ich mir meine Ziele im Kunstunterricht üblicherweise dermaßen hoch, dass ich von der Schuldoppelstunde dann auch tatsächlich noch die allerletzte Sekunde zur Fertigstellung brauchte.

Zwischen damals und heute habe ich zwar schon hin und wieder den Skizzenblock in die Fahrradtasche gepackt, aber die Zeichnungen draußen waren wenig zielgerichtet und die Arbeit mit dem Bleistift oder auch der Zeichenkohle brachte mir keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Im Frühjahr 2020 ist klar, ein völlig neuer Ansatz muss her, sonst brauche ich das Thema gar nicht erst wieder angehen. Geholfen haben mir dann folgende Vorsätze:

  • Ich gönne mir ein gebundenes Skizzenbuch und keine lose Blättersammlung.
  • Ich zeichne nur für mich. Niemand sieht mir dabei über die Schulter (auch nicht im Geiste) und ich bewerbe mich mit dem Buch auch nicht an einer Kunstakademie.
  • Ich verzichte auf jegliche reißerische Effekte, setze bewusst und konsequent auf das Erfassen von Umrissen und lasse eine gewisse Naivität in der Darstellungsweise zu.
  • Um mit allem zu brechen, was ich mir vorher zur Gewohnheit gemacht habe, verwende ich ausschließlich wasserfeste Fine Liner in Sepia dunkel – Schluss mit Wischen und Radieren – die kennen kein Pardon!

Eine weitere, ganz entscheidende Hilfe hatte ich dann durch die Betrachtung der Bilder von Harald Wiberg. Der schwedische Künstler und Illustrator von Astrid Lindgrens Büchern um Tomte Tummetott hatte ebenfalls ein Herz für die Darstellung der Natur und dabei seinen ganz eigenen Stil. Lange schon schaue ich mir immer mal wieder seine Werke an, doch erst jetzt erkenne ich in der Art, wie er seine Zeichnungen aufbaut, auch einen Weg für mich und mein Projekt. Es ist seine Tendenz zum Umranden, die mein Team aus Kopf und Hand mal in unbekanntes Terrain führen soll.

Also los! Der Weg ist das Ziel. Und so packe ich mir im April das noch blütenweiße Skizzenbuch, die besagten Stifte und den kleinen, dreibeinigen Klapphocker in die Satteltaschen meines Fahrrades und fahre durch die morgendliche Frische in den nahen Wald. Langhaarteckel Adele darf natürlich mit. Das erste Motiv ist schnell gefunden – kein Wunder, ich liebe die lichtdurchfluteten Kiefernwälder der Heide. Jetzt im Frühling sprießt gerade das erste zarte Grün und die Strukturen der einzelnen Gehölze sind noch gut voneinander abzugrenzen.

Tatsächlich ringe ich mich zu einem überschaubaren Objekt der Betrachtung durch. Eine kleine Baumgruppe aus Birken, Fichten und einem Kiefernstamm soll es sein. Bei meiner ersten Zeichnung bin ich trotzdem noch sehr damit beschäftigt, mir meine Grundsätze permanent vor Augen zu halten. Meinen inneren Kritiker nehme ich aus der Gruppe und gebe ihm eine Stillarbeit im Nebenraum… 😉 Es soll schließlich ein etwas naiver, leicht bilderbuchartiger Stil sein. Also Ruhe jetzt und nicht gleich wieder alles schlechtreden. Hatte ich schon erwähnt, dass ich Perfektionist bin? Nicht immer ein Vorteil. Deshalb lieber schnell auf zum nächsten Motiv.

Zum Abbau von Hemmnissen für alle – hier die erste Skizze neuer Art. Nicht das Ziel meiner Träume, aber ich bleibe dran.

Das zweite Motiv ist schon gleich deutlich komplexer (ich kann einfach nicht aus meiner Haut…) und mit meinem Platz am Hauptweg zeichne ich nun auch noch unter den Blicken einer vorbeifahrenden Fahrradgruppe. Und muss man das Buch unbedingt schon in der Erprobungsphase hochkant auf die Knie legen? Ja, muss man, wenn man den Schirm aus Altkiefern über der Douglasienkultur unbedingt samt Krone auf’s Blatt bekommen will… Na gut, ich bleibe tapfer und ziehe mein Mantra durch. Hier das Ergebnis von Zeichnung Nummer zwei:

Weil der Morgen einfach zu schön und noch Energie übrig ist, schlendern Adele und ich noch einen grünen Maschinenweg hinunter und setzen uns ein drittes Mal ins hohe Gras. Hier der Blick zurück:


Wie ging es mit dem Skizzenbuch weiter?

Der Anfang ist immer am schwersten. Den hatte ich nun geschafft, ohne alles hinzuschmeißen und in alte Muster zurückzufallen. In den folgenden Wochen hat sich das Skizzieren draußen in der Natur dann zu einer echten Bereicherung meines Alltags gemausert. Mit zunehmender Tageslänge sitze ich häufig nach Feierabend noch eine Stunde im Wald und entspanne mit jedem Strich, den ich auf das Papier setze. Die Wuchsform von jungen Ebereschen, Fichten und Birken ausgiebig zu studieren und sich auf jede Richtungsänderung der zarten Triebe zu konzentrieren, tut mir gut. Dabei bin ich verblüfft, wie häufig währenddessen Wild in Anblick kommt, ohne uns im Beerkraut sitzend zu bemerken. Meistens ruckt der Körper meiner kleinen Teckeldame einmal kurz, bevor ich etwas bemerkt hätte, aber je nach Wind verpasst sie auch mal, was ich von weiter „oben“ sehe.

Immer wieder staune ich, wie viele Tiere beim Zeichnen am hellichten Tag nah an meinem Hocker vorbeiwechseln. Meister Lampe ist einer der häufigsten Gäste, aber auch Baummarder und Iltis kommen hin und wieder ihres Weges.

Im Laufe der Zeit wird jede Methode vertrauter und der Wald ist unerschöpflich an Motiven. Das, was ich früher schon in Fotos versucht habe, einzufangen, wird jetzt in den Zeichnungen viel deutlicher hervorgehoben. Auf alle anderen Details verzichte ich großmütig. Auch das gelegentliche Blättern in meinem Skizzenbuch macht mir Freude. Nur die Farben der Natur, die Lichtstimmungen, die kann ich damit nicht festhalten, aber das ist ein anderes Thema, welches ich beim Malen mit Ölfarben Plein Air vorstelle.

Um der Überschrift gerecht zu werden, gibt es jetzt noch ein paar Einblicke in mein Skizzenbuch. Und ja, beim Zeichnen der perspektivisch nicht gerade lässigen Hordengatter aus Holz habe ich mich mittendrin auch jedes Mal gefragt, warum ich mir das schon wieder antue…

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